Lesepredigt zum 5. April 2020

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Peter Paul Rubens (1577 - 1640) Christus im Haus des Pharisäers Simon

Öl auf Leinwand (zwischen 1618 – 1620) - Lizenziertes erworbenes Bild / Kein Download gestattet

Predigt für Palmsonntag, 5. April 2020 zu Markus 14,3-9; Salbung in Bethanien

 

Und als er in Betanien war im Hause Simons des Aussätzigen und saß zu Tisch, da kam eine Frau, die hatte ein Alabastergefäß mit unverfälschtem, kostbarem Nardenöl, und sie zerbrach das Gefäß und goss das Öl auf sein Haupt. Da wurden einige unwillig und sprachen untereinander: Was soll diese Vergeudung des Salböls? Man hätte dieses Öl für mehr als dreihundert Silbergroschen verkaufen können und das Geld den Armen geben. Und sie fuhren sie an. Jesus aber sprach: Lasst sie! Was bekümmert ihr sie? Sie hat ein gutes Werk an mir getan. Denn ihr habt allezeit Arme bei euch, und wenn ihr wollt, könnt ihr ihnen Gutes tun; mich aber habt ihr nicht allezeit. Sie hat getan, was sie konnte; sie hat meinen Leib im Voraus gesalbt zu meinem Begräbnis. Wahrlich, ich sage euch: Wo das Evangelium gepredigt wird in der ganzen Welt, da wird man auch das sagen zu ihrem Gedächtnis, was sie getan hat.

Die Ereignisse von Karfreitag - der Tod - wirft seinen Schatten voraus. Und der Tod ist ein Meister der klaren Worte und der eindeutigen Gesten. Auf Konventionen nimmt er keine Rücksicht. Förmlichkeiten interessieren ihn nicht. Aber wer sich der Wirklichkeit und der Unentrinnbarkeit des Todes stellt, hat die Chance, der Wahrheit und echten Gefühlen zu begegnen. Grenzen werden überschritten. Das tun wir in dieser Geschichte. Unsere Lehrmeisterin ist eine Frau, deren Namen wir nicht kennen. Sie steht zu ihren Gefühlen. Sie glaubt an sie und folgt ihnen. – Damit kommt sie Gott ganz nah. Diese Frau bricht in eine Männergesellschaft ein. Das war frech. Das war ungehörig. So etwas tat „frau“ nicht. Sie tut es trotzdem und betritt das Haus des Simon.- Von diesem Simon wird gesagt, dass er aussätzig gewesen sei. Das ist die zweite Grenzüberschreitung. Jesus begeht sie. Denn Aussätzige hatte man zu meiden. Sie passten nicht in das Schema einer moralisch integren Gesellschaft. Nach den als heilig gehaltenen Gesetzen glaubte man, dass Gott sie verlassen und bestraft hat . – Doch Jesus, der Gottessohn, sucht ihre Nähe. Er handelt im Namen des Gottes, der sich den Menschen zuwendet, der nicht will, dass jemand ausgegrenzt wird.

            Die Menschen spüren: Da ist ein anderer Gott am Werk: Nicht ein Gott der Moral und der Normen, der Konventionen und Gesetzlichkeiten, keiner der mich klein, unmündig und abhängig halten will. Jesus lebt in und vom Geist des Gottes, der sich bewegen lässt von den Gefühlen der Menschen, der sich mitfreut, wenn Menschen sich freuen, der mit lacht, wenn Menschen fröhlich sind, der sich einreiht in die Reihe der Tanzenden - und der mittrauert, wenn Menschen weinen und niedergeschlagen sind. Aus ihm fließen Leben und Schönheit und Liebe. Sie wollen auf uns Menschen überfließen.

            Jesus und die namenlose Frau, sie verstehen sich. Was diese Frau tut, geht nicht von Verstand und Berechnung aus. Sie ist ganz bei sich und ihrem Herzen. Mit ihren Füßen überschreitet sie die Schwelle eines Hauses, in dem sie eigentlich nichts verloren hatte. Mit ihren Händen öffnet sie ein Glas von kostbarem Öl und gießt es über Jesus. Sie hätte ihn gar nicht berühren dürfen. Und wenn, es hätten auch wenige Tropfen genügt. Aber weil sie aus tiefstem Herzen handelt, gießt sie das ganze teure, kostbare, überaus köstliche Öl über ihn. Damit spült sie Grenzen, Konventionen und Tabus beiseite. Jesus lässt es geschehen. Er und sie begegnen sich hier auf eine sehr persönliche Weise. Gottheit und Menschheit kommen sich hier ganz nah. Jesus findet in dieser Frau eine Nähe, die er bei seinen Jüngern, bei seinen Zuhörern und erst recht bei den Vertretern von Religion und Moral vergeblich gesucht hat. Das provoziert viele der Anwesenden. Sie mokieren Verschwendung und wenden sich gegen diese Frau. Für sie ist ein tanzender, singender, zärtlicher, von Liebe überfließender Gott suspekt.

            Aber Jesus nimmt sie in Schutz. Für ihn hat sie das einzig Richtige getan. Ihr Handeln war klar und eindeutig. Ihre Liebe war wie sie selbst: ehrlich, schön, Gott verbunden. Denn sie hat „ein gutes Werk an mir getan“. Und: „Wo das Evangelium gepredigt wird in aller Welt, da wird man auch das sagen zu ihrem Gedächtnis, was sie getan hat“. Deshalb denken auch wir heute an sie. - Jesus ist auf den Weg nach Jerusalem. Er weiß, ahnt jedenfalls, was ihn erwartet. Sein Aufenthalt in Bethanien ist ein Zwischenstopp auf seinem Weg ans Kreuz. Sein Herz ist schwer. Es ist voll böser Ahnungen und Ängste. Die namenlose Frau im Hause von Simon spürt seinen Kummer. Sie stärkt ihn auf seinem schweren Weg mit einer Tat der Liebe und mit einer eindeutigen Geste angesichts des Todes, der seine Schatten voraus wirft. Von ihr lernen, heißt vom Evangelium lernen. -von der guten Botschaft, von der Freiheit – ja vom Leben selbst und von Gott zu lernen. Amen!

 

Mit guten Wünschen für einen gesegneten Sonntag und eine behütete Zeit, Ihr Pfarrer Jörg Scheerer