Lesepredigt zu Quasimodogenti 19.04.2020
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- Zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 21. Mai 2020 23:01
Predigt zum Sonntag Quasimodogeniti – 19.04.2020, Altenmünster
zu Jesaja 40,26-31
Bild Quelle: commons.wikimedia.org
( -> Zum Anhören auf YouTube verfügbar)
26 Hebt eure Augen in die Höhe und seht! Wer hat all dies geschaffen? Er führt ihr Heer vollzählig heraus und ruft sie alle mit Namen; seine Macht und starke Kraft sind so groß, dass nicht eins von ihnen fehlt.
27 Warum sprichst du denn, Jakob, und du, Israel, sagst: »Mein Weg ist dem Herrn verborgen, und mein Recht geht an meinem Gott vorüber«?
28 Weißt du nicht? Hast du nicht gehört? Der Herr, der ewige Gott, der die Enden der Erde geschaffen hat, wird nicht müde noch matt, sein Verstand ist unausforschlich.
29 Er gibt dem Müden Kraft und Stärke genug dem Unvermögenden.
30 Jünglinge werden müde und matt, und Männer straucheln und fallen;
31 aber die auf den Herrn harren, kriegen neue Kraft, dass sie auffahren mit Flügeln wie Adler,
dass sie laufen und nicht matt werden, dass sie wandeln und nicht müde werden.
In einem Gedicht von Inge Müller heißt es: Immer wenn ein neuer Tag beginnt, ein Frühling, ein zweiter Frühling, immer wenn eine Krankheit sich bessert, ein Streit mit einer Versöhnung endet, ein Mensch eine zweite Chance bekommt, immer wenn ich einen schweren Stein beiseite rolle, den Stein meines Schweigens, meiner Angst, meiner Verlassenheit, immer wenn man mir sagt, dass das Ende nie das Ende ist, und ich glaube es … dann ist Ostern.
(aus: Inge Müller, Fange den Tag (c) 2009 Verlag am Eschbach der Schwabenverlag AG, Eschbach / Markgräflerland, S. 88f.)
Vieles davon erleben wir in diesen Tagen: Blumen und Obstbäume blühen. Menschen, die an Covid-19 erkrankt waren, um deren Leben gebangt wurde, werden wieder gesund und fühlen sich „wie neue geboren“ – quasi modo geniti – „wie neu geborene Kinder“. Menschen wachsen über sich selbst hinaus und organisieren Hilfsangebote für Bedürftige. Den zurzeit vielzitierten Kassiererinnen in den Supermärkten wird eine Aufmerksamkeit zuteil, die sie sich nicht träumen ließen. Scheinbar Selbstverständliches, wie der Besuch eines Cafés oder eines Konzertes, ein Fußballspiel oder das Herumtollen auf einem Spielplatz vermissen wir schmerzlich und können es kaum erwarten, wann wir das alles wieder genießen können.
Aber es gibt auch das andere: Menschen werden nicht gesund. Die frühe Blüte wird von Nachtfrösten dahingerafft. Politisch Verantwortliche schieben Verantwortung ab, sähen Zwietracht, anstatt gemeinsam und in globaler Solidarität die Corona Pandemie zu bekämpfen.
Es wundert deshalb nicht, dass Menschen resignieren und verzweifelt fragen: „Warum?“ – oder „Wo bleibt hier Gott?“ – „Gibt es ihn denn?“ oder eben wie vor zweieinhalbtausend Jahren das ins ferne Babylon verschleppte Volk Israel klagt: „»Mein Weg ist dem Herrn verborgen, und mein Recht geht an meinem Gott vorüber«.
Doch es gibt auch die anderen: Einen Propheten Jesaja, der seine Augen hebt und hinter und über dem vordergründig Trostlosen die Macht und Kraft Gottes sieht. – Einen wie Shalom Ben Chorin, der im Schrecken des Krieges und inmitten von Trümmern einen blühenden Mandelbaum sieht und darüber ein Lied dichtet: „Freunde, dass der Mandelzweig…“ Es gibt sie doch auch, die Schwestern auf den Intensivstationen, die – obwohl Menschen unter ihrer Fürsorge sterben – sich über und mit einem Genesenen freuen und ihm mit Hilfe eines Tablets ein Gespräch mit seinen Angehörigen ermöglichen.
Zu den Zweiflern und Resignierten gehörten auch die Jünger. Sie hatten sich verkrochen. Ihre Angst war groß, dass es ihnen ergehen könnte wie Jesus, der ans Kreuz geschlagen wurde. Alle ihre Hoffnung war dahin. Sie konnten Maria Magdalena und den anderen Frauen nicht glauben, die sagten, dass Jesus lebt. Die Freude der beiden Emmaus-Jünger, denen Jesus im Brotbrechen begegnet war, blieb ihnen fremd. Erst als ihnen der Auferstandene selbst begegnete, wuchs ihnen neue Kraft zu und ihre Hoffnung konnte „auffahren mit Flügeln wie Adler“.
Wir können uns nicht selbst trösten. Wir können uns nicht selbst aus unserer Hoffnungslosigkeit befreien, nicht am eigenen Schopf aus dem Sumpf unserer Resignation ziehen. Wir sind auf einander angewiesen und auf das Geheimnis, dass der Auferstandene in unserer Leben tritt, uns die Augen öffnet und uns Müden neue Kraft und uns Unvermögenden neue Stärke schenkt - trotz allem.
Die rettende Gegenwart Christi - Ostern – bleibt ein Geheimnis. Sie ist paradoxerweise zugleich sichtbar und unsichtbar. Sie ist Wirklichkeit und doch eine verborgene Wirklichkeit. Der Theologe Paul Tillich (Paul Tillich, Das neue Sein, 1957) sagt es so: „Nur wer die Macht in der Schwachheit, das Ganze unter dem Fragment, das Leben unter dem Tod zu sehen vermag, kann sagen: Meine Augen haben Dein Heil gesehen".
Lassen Sie uns gemeinsam der immer wieder aufkeimende Hoffnungslosigkeit dieser Tage und auch der Hoffnungslosigkeit in unseren eigenen Herzen trotzig entgegentreten. Lassen Sie uns gemeinsam gegen allen Widerstand in diesen Tagen Blüten-Zeichen des Lebens setzen, indem wir unsere Augen heben und das Schöne in dieser Welt und an einander wahrnehmen - oder indem wir uns einfach in unserer Trauer und Hoffnungslosigkeit aushalten. Lassen Sie uns gemeinsam darum bitten, dass der Auferstandene in unser Leben tritt, mit uns das Brot des Lebens teilt, uns die Augen öffnet und ein Licht anzündet, das leuchtet und die Botschaft in sich trägt: Das Ende ist nicht das Ende. Es gibt eine Zukunft. Sie ist voller Lebendigkeit und sie ist hell. Amen!
Mit guten Wünschen für eine behütete Zeit, Ihr Pfarrer Jörg Scheerer
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